9 for 2024 – Teil 2
9 for 2024 and Beyond
Teil zwei der Reihe „Nine for 2024“, einer Situationsanalyse mit Prognosen für 2024 und darüber hinaus
Die Onkologie etablierte sich bereits 2010 zum weltweit wertvollsten Therapiebereich im verschreibungspflichtigen Segment und ist seit mehr als einem Jahrzehnt der größte therapeutische Trendgeber des globalen Arzneimittelmarktes, getrieben von einem positiven Zyklus bedeutender Innovationen, die herausragende wirtschaftliche Ergebnisse hervorbringen, wiederum hohe kommerzielle Investitionen auslösen und damit den Wettbewerb intensivieren. Die Onkologie wird – gefolgt von den beiden anderen Mega-Therapiebereichen Diabetes und Immunologie – bis 2030 der wertvollste Therapiebereich der Welt bleiben, aber ab 2024 wird diese Hegemonie durch den Aufstieg der Adipositas-Therapeutika herausgefordert, die schnell zu einem Haupttreiber des Wertzuwachses werden und das Wiederaufleben der Innovation in den breiteren Herz-Kreislauf- und Stoffwechselmärkten (CV-Met) anführen werden.
Skalierung von Adipositas und CV-Met
Für die neuen Adipositas-Therapeutika war 2023 ein Jahr der wichtigen Zulassungen. 2024 wird das Jahr der raschen Skalierung sein, mit raschem Uptake und einer wachsenden Pipeline neuer Adipositas-Wirkmechanismen und Ergebnisdaten, die die außergewöhnlich schnelle Etablierung eines Marktes vorantreiben, der irgendwann zwischen 2024 und 2030 sehr wahrscheinlich zum vierten Mega-Therapiebereich werden wird.
Die Auswirkungen eines solch raschen Anstiegs eines wichtigen neuen Therapiebereichs werden tiefgreifend und beispiellos sein – während Hepatitis-C-Mittel das Ausgabenwachstum 2015-17 rapide dominierten und Sovaldi in einem einzigen Jahr das weltweit umsatzstärkste Medikament war, sank der Umsatzwert von Hepatitis C ebenso rapide, als Patienten geheilt wurden. Die schiere Zahl der Patienten und die chronische Natur der Erkrankung bedeuten, dass Adipositas hingegen ein Mega-Therapiebereich bleiben wird und damit weiterhin einen großen Anteil an den Ausgaben des Gesundheitssystems ausmachen wird.
Die Frage der Finanzierung in diesem Bereich wird daher drängend. Während sich die Versicherer und öffentlichen Kostenträger global zum Teil nur langsam bewegen, gewinnt ein bedeutender Selbstzahlermarkt an Schwung, der das Potenzial hat, die Sichtweise auf die Selbstzahlung für bestimmte Arten von chronischen Medikamenten zu verändern.
Der höhere Einsatz und die hinzukommenden Wirkmechanismen werden die Angehörigen der Gesundheitsberufe sowie die Patienten vor die Herausforderung stellen, den Einsatz dieser Therapien zu optimieren. Adipöse Menschen sind eine diverse Gruppe und dies gilt auch für Wege zu einer erfolgreichen Behandlung. Evidenzbasierte Leitlinien, die sich auf weitere Ergebnisstudien und reale Daten stützen, sind von entscheidender Bedeutung. Wenn sich der Markt in einen öffentlichen und einen privaten Markt aufteilt, werden RW-Daten in beiden Bereichen zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Länderübergreifende politische Lösungen für Infektionskrankheiten im Jahr 2024
2024 wird ein wichtiges politisches Jahr für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten sein. Die 77. Weltgesundheitsversammlung wird sich mit dem „pandemic preparedness treaty“ der Vereinten Nationen befassen, während die Krise der antimikrobiellen Resistenz (AMR) 2024 Gegenstand einer hochrangigen Sitzung der UN-Generalversammlung sein wird. AMR war 2019 direkt für 1,25 Millionen Todesfälle verantwortlich und diese Zahl könnte, wenn die Entwicklung nicht eingedämmt wird, bis 2050 jährlich auf 10 Millionen anwachsen. Das wäre die gleiche jährliche globale Sterblichkeitsrate wie bei Krebs im Jahr 2020.
Die Lösung dieser oft unterschätzten Krise im Gesundheitswesen wird nicht allein durch Innovation und kommerzielle Anreize zu erreichen sein: Während Antibiotika vor 20 bis 30 Jahren zu den meistverkauften Medikamenten der Welt gehörten, wurde mit den umsatzstärksten innovativen Antibiotika 2022 weltweit 15-mal weniger Umsatz gemacht als 2002. Die Pipeline neuartiger Antibiotika ist spärlich: Drei neue Wirkstoffe wurden seit 2020 auf den Markt gebracht, mit begrenztem kommerziellen Nutzen. Und während sechs Start-ups seit 2017 die FDA-Zulassung für neue Antibiotika erhielten, haben alle die Entwicklung von Antibiotika inzwischen aufgegeben.
Eine Politik, die Anreize für antimikrobielle Innovationen schafft, ist notwendig, reicht aber nicht aus. Selbst wenn die zahlreichen politischen Maßnahmen in den USA und Europa zur Förderung der antimikrobiellen Innovation erfolgreich wären, würden die angestrebten Ziele nicht erreicht, wenn die Innovation in das bestehende Umfeld des Fehlgebrauchs und der Überbeanspruchung geriete. Die politischen Lösungen für das Jahr 2024 müssen das Gesamtbild betrachten und eine bessere Datenerfassung, Analyse und evidenzbasierte Entscheidungsfindung in Bezug auf den bestehenden Einsatz antimikrobieller Mittel fördern, damit wertvolle innovative Wirkstoffe ihren richtigen Platz und optimalen Einsatz finden.
Regulierung von KI für eine bessere Gesundheitsversorgung
Ein für die Entwicklung der KI-Geschichte 2024 entscheidendes Ereignis, fand Ende 2023 statt, als die EU im Dezember eine politische Einigung über das sektorübergreifende KI-Gesetz (AIA) erzielte.
Der AIA gilt für alle Sektoren, in denen KI kommerziell genutzt wird, aber seine Kategorisierung der KI-Nutzung nach potenziellem Risiko macht es für das Gesundheitswesen besonders wichtig, da viele Gesundheitsanwendungen aufgrund ihrer Verwendung vertraulicher Patientendaten und ihrer Anwendung auf die Gesundheit von Menschen als „hochriskant“ eingestuft werden.
Weiters werden die Anwendungen als Medizinprodukte eingestuft und unterliegen daher zusätzlich zu den Anforderungen des KI-Gesetzes der Bewertung der „notified bodies“ für Medizinprodukte. Das AI-Gesetz wird ab 2026 in Kraft treten, aber die schwerwiegenden Strafen bei Nichteinhaltung, einschließlich der Möglichkeit von Geldbußen in Höhe von 1,5 % bis 7 % des weltweiten Umsatzes, bedeuten, dass Unternehmen ab 2024 vorausplanen müssen, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten. Life Science Unternehmen sollten daher den Aufbau einer KI-Governance- und Compliance-Strategie in Betracht ziehen. Im Jahr 2024 wird auch der Ansatz der USA, Chinas und anderer wichtiger Regionen zur Regulierung von KI deutlicher zutage treten. Daher sollten die Strategien flexibel und zukunftssicher für die Vorschriften anderer Gremien und Regionen sein.
Gegenwind: pharmazeutische Marktsegmente, die 2024 unter Druck stehen
Ein starker Generika- und Biosimilar-Sektor ist der Schlüssel zum Management der Arzneimittelbudgets, das Ausgaben für Innovationen zulässt. Die Chancen für patentfreie Medikamente scheinen groß zu sein: Allein auf dem kritischen US-Markt werden zwischen 2023 und 2030 Loss of Exclusivity-Potentiale von 210 bis 250 Milliarden Dollar eröffnet. Bei näherer Betrachtung sieht die Aussicht auf eine Optimierung der Einsparungen durch den Markt für Generika und Biosimilars jedoch weniger sicher aus:
Die Hersteller von „small molecule“ Generika befinden sich im Spannungsfeld zwischen steigenden Herstellungskosten aufgrund von Energie- und Rohstoffpreissteigerungen, notwendigen Umweltverträglichkeitsvorgaben, die von den Gesundheitssystemen gefordert werden, um ihre eigenen Netto-Null-Verpflichtungen zu erfüllen und von Ausschreibungs- und Einkaufspolitiken, die, wenn überhaupt, nur langsam andere Einkaufskriterien als die Kosten anerkennen. Versorgungsengpässe bei Generika, insbesondere bei Krankenhausarzneimitteln mit geringem Volumen, werden bis 2024 in allen Regionen zu einem kritischen Problem und zu einem Kernelement der Regulierungsmaßnahmen werden.
Für Biosimilars wir aktuell die Biosimilar-Lücke diskutiert, der sogenannte Biosimilar Void: Während die Zahl der Biosimilars, die für die umsatzstärksten Biologika entwickelt wurden, konstant geblieben ist, gibt es eine wachsende Gruppe von Biologika mit geringeren Umsätzen, oftmals im SE-Segment, deren Exklusivität verloren gegangen ist, für die es aber keine Biosimilar-Wettbewerber gibt. Die Prüfung politischer Ansätze zur Lösung dieses Problems wird ab 2024 zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Der Gegenwind wird sich 2024 auch für Medikamente für Seltene Erkrankungen verstärken. Die Orphan-Medikamente, die in der Vergangenheit von einer erfolgreichen Politik zur Förderung der Entwicklung von Arzneimitteln für Seltene Erkrankungen profitiert haben, werden zunehmend die Auswirkungen neuer politischer Maßnahmen zur Steuerung der Arzneimittelausgaben zu spüren bekommen, die Orphan-Medikamente nicht mehr als Ausnahme von der Regel behandeln werden.
In den USA werden zum Beispiel Orphan-Medikamente mit einer Indikation im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) vor Preisverhandlungen geschützt, verlieren aber bei weiteren Indikationen ihre Exklusivität. In Europa wird das EU-Paket zur Arzneimittelgesetzgebung die Exklusivität für Arzneimittel für Seltene Erkrankungen von zehn auf neun Jahre verkürzen, wenn der behördliche Datenschutz von Bedeutung ist. Arzneimittel für Seltene Erkrankungen werden weiterhin erfolgreich sein, müssen aber ab 2024 zunehmend den Kostenvorteil im Rahmen des gesamten Arzneimittelbudgets nachweisen.
Teil 1 dieser Reihe finden Sie hier.
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