Nine for 2023 – Teil Zwei

 

Teil zwei der Reihe „Nine for 2023“, einer Situationsanalyse mit Prognosen für 2023 und darüber hinaus

Der erste Teil der Reihe „Nine for 2023“ des IQVIA Thought Leadership Teams beschäftigte sich mit Tendenzen und Entwicklungen, die Gesundheitssysteme und die pharmazeutische Industrie in diesem Jahr und darüber hinaus fordern und prägen werden: Gegenbewegungen zu Globalisierungstendenzen, die wachsende Fragilität der Gesundheitssysteme auch in wohlhabenden Ländern, sowie die strategischen Herausforderungen für die Industrie, sich in dieser zunehmend restriktiven Umgebung zukunftssicher durch Innovation zu positionieren.

Im zweiten Teil sollen nun 3 Aspekte beleuchtet werden, die Entwicklungspotentiale und Wachstumschancen aufzeigen.

 

Innovation im Bereich der „Volkskrankheiten“ überalternder Gesellschaften

Eine zentrale Herausforderung der medizinischen Forschung ist es, Fortschritt im Sinne echter Innovation im „Primary Care Sector“ für chronische, gerade in wohlhabenden und überalternden Gesellschaften hochprävalenten, Erkrankungen zu erzielen.

Alzheimer ist hierfür ein hochaktuelles Beispiel: 2022 gab es durchaus vielversprechende Entwicklungen, inklusive einer Zulassung durch die FDA zu Beginn dieses Jahres. Ob für Alzheimerpatienten bereits von einem Wendepunkt gesprochen werden kann, muss sich erst noch zeigen. Sicher ist jedoch, dass die Herausforderungen nicht nur medizinischer Natur sind: auch Zugangsschranken für PatientInnen und die Anwendungs- bzw. Finanzierungsbereitschaft der Gesundheitssysteme sind entscheidende Hürden für einen gelungenen Durchbruch in der Versorgung.

Denn: auch wenn in weiten Bereichen der Primärversorgung Innovation ins Stocken geraten zu sein scheint – so wurde etwa die letzte neue Klasse von Blutdrucksenkern 2007 eingeführt – ist es ebenfalls wahr, dass auch in Bereichen, in denen innovative Produkte entwickelt werden konnten (etwa im Bereich der Cholesterinsenker), weite Teile der Patientenschaft auf Basis generischer Präparate von Arzneimitteln, die in den 1990er Jahren auf den Markt gekommen sind, behandelt werden, kurzum: die neuen Entwicklungen haben zu keinem echten Wandel im jeweiligen Behandlungsparadigma geführt. Die WHO nennt als weltweit führende Todesursachen koronare Herzerkrankungen, Schlaganfälle und COPD, die hauptsächlich mit Arzneimitteln behandelt bzw. vorgebeugt werden, die Jahrzehnte alt sind.

Die Überalterung der Bevölkerung wird diese Herausforderung noch verstärken: zwischen 2015 und 2050 wird sich in den „high-income countries“, also den am höchsten entwickelten Volkswirtschaften, der Anteil der Bevölkerung über 60 Jahren von 12% auf 22% beinahe verdoppeln; zugleich wird prognostiziert, dass 2050 80% der älteren Menschen in „low- und middle income countries“ leben werden. Arzneimittel zur Prävention und Behandlung jener Erkrankungen, die sich mit höherem Alter häufen, wird im Bereich der Primärversorgung angeboten werden müssen, da anderweitig Systeme die Fallzahlen nicht bewältigen werden können.

Innovation in diesem Bereich voranzutreiben ist also aus der Warte der Gesundheitssysteme betrachtet ein strategischer Imperativ für die Zukunft der Versorgung. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die wirtschaftlichen Anreize für die forschende Industrie gegeben sind. Ohne dieses Zusammenspiel wird erfolgreiche Innovation im Feld chronischer, hochprävalenter Erkrankungen nicht gelingen.

Nicht zuletzt deshalb wird der tatsächliche Einsatz der neuen Alzheimermedikamente ein wichtiger Richtwert für zukünftige Entwicklungen werden. Denn auch wenn nach wie vor grundlegende Fragen zum Verständnis der Erkrankung offen sind, wird die Forschung, die sich diese Antworten zu finden zum Ziel gesetzt hat, substantielles Funding, möglicherweise auf Dekaden hinaus, benötigen. Um solche Investments sicherzustellen, braucht es kommerzielle Anreize. Während aktuell Systeme scheinbar nur darüber entscheiden müssen, ob und wie neue Alzheimer Therapien eingesetzt und bezahlt werden sollen, darf die breitere, strategische Auswirkung dieser Entscheidungen für die Schaffung eines innovationsfreundlichen Umfelds für Entwicklungen im Bereich der Volkskrankheiten nicht außer Acht gelassen werden.

 

Diagnostika am Wendepunkt

Die Corona-Pandemie hat „In vitro Diagnostika (IVDs)“ in das Rampenlicht gebracht, insbesondere sogenannte Selbsttests („self-test point of care diagnostics“). Große Teile der Bevölkerung haben binnen kurzer Zeit Erfahrungen und Wissen gesammelt, wie solche Tests angewendet und Ergebnisse verstanden werden.

IVDs sind für ca. 2% der Gesundheitsausgaben verantwortlich, kommen aber in ca. 66% der klinischen Entscheidungsfindung zum Einsatz. Es darf angenommen werden, dass IVDs eine kritische Rolle spielen werden, wenn es um die Stärkung der patientenzentrierten, präventiven Gesundheitsversorgung gehen wird.

Aus wirtschaftlicher Warte betrachtet wird dem Markt rasantes, innovationsgetriebenes Wachstum prognostiziert, von 45 Mrd. $ in 2022 auf bis zu 75 Mrd. $ bis 2027. Aus medizinischer Warte werden vielseitigere Einsatzmöglichkeiten erwartet, etwa multiple Tests, die durch ein Gerät durchgeführt werden können. Innovatoren forschen auch an der Kombination unterschiedlicher technischer Plattformen in einem Gerät – ein Beispiel ist die „multicancer early detection platform“, die eine vollständige FDA Zulassung in diesem Jahr anvisiert.

 

Neue pharmakologische Plattformen als Therapie-Hoffnungsträger

2023 werden neue technologische Plattformen zunehmend auch im pharmakologischen Bereich ihr Potential zeigen:

  • Für die erste auf CRISPR basierende Therapie, u.a. gegen Sichelzellenanämie, wird in diesem Jahr die Zulassungsentscheidung der FDA erwartet.
  • Gentherapien, von denen einige bereits im Markt erhältlich sind, werden einen weiteren starken Aufwärtstrend erfahren. Mehr Zulassungen, die größere Patientengruppen betreffen, werden auch die bereits stattfindenden Diskussionen der Finanzierbarkeit dieser Therapien stärker in den Fokus rücken.
  • Mikrobiom-Therapeutika werden ebenfalls 2023 ihr kommerzielles Debut mit gleich 2 Therapiekandidaten gegen Clostridium difficile geben. Eine weitere bemerkenswerte Innovation, die 2023 Zulassung erhalten könnte, ist ein RSV-Vakzin, die eine signifikanten Fortschritt im Kampf gegen das Virus für Kleinkinder und ältere Menschen erhoffen lässt.

Der „Motor Innovation“ läuft also für die pharmazeutische Industrie weiter. Warum Unternehmen dennoch zunehmend schwierige Entscheidungen im Bereich klinischer Entwicklung und Innovation außerhalb der R&D-Pipeline erwarten müssen, wird im letzten Teil dieser Reihe im kommenden Newsletter beleuchtet werden.

 


Den ersten Teil dieser Reihe finden Sie online hier

 

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Bernhard Hattinger

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