Bewertung des „Biosimilar Void“
Wege zu einem nachhaltigen Wettbewerbsniveau für Biosimilars in Europa
Durch Biosimilar-Wettbewerb im europäischen Biologikamarkt konnten in der Vergangenheit erhebliche Einsparungen im Gesundheitswesen lukriert werden. Biosimilars haben zudem eine wichtige Rolle in der Ausweitung des Zugangs zu wichtigen Therapien gespielt. Die durch Biosimilars zu erwartenden Auswirkungen und Einsparungen werden daher gerne auf Basis bekannter bevorstehender Patentabläufe berechnet, sogenannter „Loss of Exclusivity“-Events (LoEs) – implizit basierend auf der Annahme, dass Biosimilar-Mitbewerber in den Markt eintreten werden. Diese Gewissheit muss allerdings aufgrund der Biologika-Pipeline-Aktivitäten auch in Europa in Frage gestellt werden.
Mit dem IQVIA Report „Assessing the Biosimilar Void – Achieving Sustainable Levels of Biosimilar Competition in Europe” hat das IQVIA Institute for Human Data Science sich diesem Thema eingehend gewidmet und insbesondere das Konzept des „Biosimilar Voids“, also der sogenannten Biosimilar-Lücke, näher beleuchtet. Die Analyse bietet einen Überblick über die Faktoren, die dem veränderten Niveau der Biologika-Pipeline-Aktivitäten in Europa zugrunde liegen und hebt insbesondere jene Bereiche hervor, in denen ein Biosimilar Void drohen könnte: also jener Fall, dass keine Biosimilars nach LoEs in den Markt eintreten. Des Weiteren wird versucht, die potentiellen Auswirkungen eines drohenden Biosimilar Voids auf die Budgets der Gesundheitssysteme gesundheitsökonomisch zu quantifizieren. Zu diesem Zweck wurde die Kohorte von biologischen Arzneimitteln, die in den nächsten 10 Jahren ihren Schutz verlieren, analysiert. Der Beurteilungszeitraum (2023-2032) wurde gewählt, um die durchschnittliche Entwicklungszeit für neue Biosimilar-Kandidaten (ca. 7-10 Jahre) und die inhärenten Einschränkungen bei der Vorhersage von Daten nach 2032 zu berücksichtigen, wobei rechtliche Hürden oder solche, die aus den Regelungen zu geistigen Eigentumsrechen erwachsen, nicht berücksichtigt wurden.
Das zukünftige Biosimilar-Potential
Bis Ende 2022 beliefen sich die kumulativen Einsparungen zu Listenpreisen aufgrund der Auswirkungen des Biosimilar-Wettbewerbs in Europa auf mehr als 30 Mrd. EUR, was etwa 10 % der jährlichen Arzneimittelausgaben entspricht.
Die mit Biosimilars verbundenen Vorteile haben zu dem weit verbreiteten Glauben geführt, dass die Einsparungen durch diese Arzneimittel garantiert sind und dass Hersteller immer in der Lage sein werden, durch neue Markteinführungen Wettbewerbsdruck auf biologische Referenzarzneimittel auszuüben. Frühere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass für bis zu 55 % der biologischen Arzneimittel, deren Exklusivität zwischen 2023 und 2027 ausläuft, kein Biosimilar in der Entwicklung ist, was zeigt, dass der Wettbewerb und damit die Einsparungen nicht automatisch als garantiert angenommen werden können.
Nachdem Zahl und der Wert der LoE-Ereignisse bei biologischen Arzneimitteln mehrere Jahre lang gestiegen sind, sind sie zwischen 2021 und 2023 gesunken. Die Prognose zeigt jedoch, dass das LoE-Potential rasch wieder zunehmen wird. In Europa werden in den nächsten zehn Jahren (bis Ende 2032) voraussichtlich insgesamt 110 biologische Arzneimittel ihre Exklusivität verlieren, wobei das LoE-Potential zwischen 2030 und 2032 einen Höchststand von rund 30 Mrd. EUR erreicht:
Die Verachtfachung des Potenzials im Vergleich zum Zeitraum 2012-14 ist zum großen Teil auf wichtige LoE-Ereignisse zurückzuführen (z. B. Pembrolizumab (Keytruda®), Daratumumab (Darzalex®) und Nivolumab (Opdivo®)).
Blick in die Biosimilar-Pipeline
In Anbetracht des hohen Potenzials kommender LoE-Ereignisse bietet die Analyse, für welche Produkte Wettbewerb durch Biosimilars wahrscheinlich ist, wertvolle Erkenntnisse bei der Bewertung des künftig zu erwartenden Biologika-Marktes.
Eine gängige Annahme ist, dass die Zahl der Biosimilar-Kandidaten mit dem Marktwert des Referenz-Biologikums steigt. Während diese Einschätzung in der Vergangenheit zutreffend gewesen sein mag, deuten die aktuellen Daten darauf hin, dass in Zukunft regulatorische Hürden, therapeutische Klasse und die Krankheitsindikation wahrscheinlich eine größere Rolle für die Attraktivität der Entwicklung und Einführung von Biosimilars spielen werden.
Von den 26 „high-sales“ Produkten (Jahresumsatz über 500 Mio. EUR), die in den nächsten 10 Jahren (bis Ende 2032) von LoE-Ereignissen betroffen sein werden, hat fast jedes dritte (27 %) noch keinen Biosimilar-Kandidaten in der Pipeline. Dies bedeutet verpasstes Potential von ca. 8 Mrd. € für die Kostenträger. Da sich die Entwickler von Biosimilars in der Regel auf globale Möglichkeiten außerhalb Europas konzentrieren, ist diese Analyse auch für einen Vergleich mit den globalen Pipeline-Prognosen relevant, obwohl es nur selten vorkommt, dass ein biologisches Arzneimittel weltweit mehr als 500 Mio. EUR Umsatz erzielt, obwohl es in Europa nur einen begrenzten kommerziellen Wert hat.
Im Gegensatz zu den Produkten, für die noch kein Konkurrent in der Pipeline ist, befinden sich für die übrigen Produkte mehr als 100 Biosimilars in der Entwicklung, was zu einem hart umkämpften Markt außerhalb des Patentschutzes führen könnte. Die Anzahl der Kandidaten pro Molekül ist sehr unterschiedlich. Und obwohl die Abbruchquoten für Biosimilarkandidaten niedrig zu bleiben scheinen, gibt es Fälle, in denen sich die Umsetzbarkeitsprognose von der frühen Entwicklung bis zur Herstellung ändert oder Schätzungen zu den kommerziellen Aussichten revidiert werden, was Entwicklungsprogramme verzögern oder stoppen kann. Diese Facette darf also bei der Analyse der Entwicklungs-Pipeline nicht außer Acht gelassen werden.
Für insgesamt neun umsatzstarke Produkte mit einem kumulierten prognostizierten europäischen Umsatz von mehr als 15 Mrd. EUR wird zwischen 2029 und 2031 mit einem LoE gerechnet. Die aktuellen Daten deuten für diese aktuell jedoch auf eine geringere Entwicklungstätigkeit hin, die möglicherweise auf Entwicklungsbeschränkungen oder lange Entwicklungszeiten zurückzuführen ist.
Die überwiegende Mehrheit der LoE-Ereignisse für biologische Arzneimittel in den nächsten 10 Jahren (bis Ende 2032) besteht jedoch aus Produkten, die zum Zeitpunkt des Ablaufs der Zulassung voraussichtlich weniger als 500 Mio. EUR Jahresumsatz in Europa erzielen werden (Kategorie „low sales“). Aufgrund der begrenzten kommerziellen Möglichkeiten wird erwartet, dass für diese Produkte nur in geringem Umfang Biosimilars entwickelt werden. In absoluten Zahlen entsprechen 76 % (84) der Biologika, deren Schutzfrist in Europa abläuft, der Definition von „low sales“, also umsatzschwach. Nur 7 % von ihnen werden voraussichtlich in den nächsten 10 Jahren Konkurrenz erhalten. Auf der Grundlage des prognostizierten jährlichen Umsatzvolumens von diesen umsatzschwächeren Produkten, für die keine Biosimilar-Kandidaten in der Pipeline sind, beläuft sich die verpasste Chance für dieses Segment auf ca. 7 Mrd. € EUR.
Daher deuten die derzeit verfügbaren Informationen darauf hin, dass der Biosimilar Void über beide Kategorien hinweg – high und low sales – mindestens 15 Mrd. EUR an Einsparungspotential kosten könnte, was etwa 25 % der gesamten LoE-Möglichkeiten bis 2032 entspricht.
Konzentration der Biosimilar-Entwicklung auf wenige Therapiegebiete
Obwohl sich die künftige LoE-Kohorte über fast 30 Therapiegebiete erstreckt, spiegeln die Entwicklungsprogramme für Biosimilars weitgehend den Fokus der Innovations-Pipeline wider und konzentrieren sich derzeit auf drei Therapiegebiete: Onkologie, Immunologie und Ophthalmologie.
In absoluten Zahlen machen diese drei Bereiche 41 % aller Originalpräparate aus, die bis 2032 in Europa vor dem LoE stehen, und haben 91 % der gesamten Biosimilar-Pipeline angezogen. Im Gegensatz zu dem kombinierten Interesse an Onkologie, Immunologie und Augenheilkunde befinden sich in anderen therapeutischen Bereichen deutlich weniger Biosimilar-Produkte in der Entwicklung: Zusammen machen sie kurzfristig weniger als 10 % der weltweiten Biosimilar-Pipeline aus.
Die hohe Konzentration der Entwicklungsaktivitäten für Biosimilars scheint darauf hinzudeuten, dass wichtige therapeutische Bereiche immer Konkurrenz durch Biosimilars erhalten werden, doch diese Annahme lässt sich aufgrund der Analyse nicht halten. Längerfristig (ab 2027) wird die durchschnittliche Anzahl der in der Entwicklung befindlichen Biosimilars von 2,19 pro Molekül auf 0,43 sinken. Dieser Trend ist größtenteils auf einen starken Rückgang der durchschnittlichen Anzahl von Biosimilarkandidaten in der Entwicklung für die Onkologie zurückzuführen, die von 4,3 (kurzfristig, 2023-2027) auf 1,2 (langfristig, 2028-2032) zurückgeht.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Kosten und der Zeitaufwand für die Markteinführung eines Biosimilar-Medikaments die Möglichkeiten der Sponsoren, neue Produkte zu entwickeln und zu launchen, zunehmend einschränken. Entscheidend ist, dass diese Einschränkungen nicht nur für Produkte mit begrenzten kommerziellen Aussichten gelten. Es wird erwartet, dass der zunehmende Wettbewerb auf dem Markt in Verbindung mit hohen Entwicklungskosten sogar die Entwicklung onkologischer Biosimilars verlangsamen wird. Einer der Haupttreiber der Entwicklungskosten für die Kategorie der Onko-Biosimilars sind vergleichende Wirksamkeitsstudien.
Einige Herausforderungen sind auch spezifisch für neue Behandlungsklassen und werden wahrscheinlich mit der Zeit zunehmen. So stellen beispielsweise die immunbedingten Nebenwirkungen von PD-L1/PD-1-Inhibitoren eine erhebliche praktische Herausforderung für die Durchführung von pharmakokinetischen (PK) und Wirksamkeitsäquivalenzstudien für die entsprechenden Biosimilar-Kandidaten dar. Es wird erwartet, dass diese Faktoren die künftige Entwicklungstätigkeit verlangsamen und die benötigte Zeit für Produktion und Zulassung von onkologischen Biosimilar-Arzneimitteln verlängern werden.
Das „Orphan“-Segment zeigt kaum Biosimilar-Entwicklung
Während die Zahl der Zulassungen von biologischen Arzneimitteln für Seltene Erkrankungen in Europa in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen hat, ist die Zukunft von Biosimilars in diesem Segment aufgrund der begrenzten Marktgröße und des unterschiedlichen Uptakes in den Mitgliedstaaten ungewiss:
Zwischen 2018 und 2022 trugen weniger als 10 % aller Biologika, deren Schutzfrist in Europa abläuft, den „Orphan“-Status. In den nächsten zehn Jahren (bis Ende 2032) wird der Anteil der Biologika für Seltene Erkrankungen, die ihre Exklusivität verlieren, voraussichtlich 34 % erreichen.
Trotz des schnell wachsenden Potentials für Biosimilar-Arzneimittel für Seltene Erkrankungen befinden sich aktuell wenige in der Entwicklung. Nur für ein einziges biologisches Arzneimittel für Seltene Erkrankungen (Eculizumab) wurde bisher ein Biosimilar entwickelt, was weniger als 3 % der gesamten Kohorte entspricht.
Dies liegt vor allem daran, dass die kommerziellen Möglichkeiten für Biosimilar-Arzneimittel auf den Markt zu kommen und eine ausreichende wirtschaftliche Rendite zu erzielen, unter den derzeitigen Entwicklungsparadigmen zu gering sind. Von den 39 biologischen Arzneimitteln für Seltene Erkrankungen, denen bis 2032 eine LoE droht, hatten 74 % im Jahr 2022 einen Umsatz von weniger als 100 Mio. EUR, wobei der durchschnittliche Jahresumsatz mit biologischen Arzneimitteln für Orphan Diseases bei 105 Mio. EUR lag.
Neben der Marktgröße gibt es jedoch noch weitere Faktoren, welche Investitionsrenditen gefährden und die Entwicklung von Biosimilars hemmen können: Biologika werden einerseits im Vergleich zu früheren Versionen (z. B. Filgrastim) zunehmend komplexer, weisen kompliziertere Strukturen und einzigartige logistische Anforderungen auf. Andererseits nehmen, insbesondere mit den Entwicklungen bei den Gen- und Zelltherapien, „one-off“ Therapien zu. Die Herausforderungen und die hohen Kosten für die Entwicklung und den Vertrieb solch fortschrittlicher Therapien bedeuten, dass die Entwickler von Biosimilars möglicherweise nicht in der Lage sind, ihre Anfangsinvestitionen zu amortisieren, so dass für diese Kategorie von Biologika ein hohes Risiko besteht, in die „Biosimilar-Lücke“ zu fallen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts konnte für keine der „one-off“ Therapien, für die Exklusivitätsdaten vorliegen, eine Biosimilar-Pipeline identifiziert werden.
Fortschritte im „standard of care“ können Biosimilarentwicklung hemmen
Die Entwicklung von Biosimilars wird auch durch Veränderungen im „standard of care“ beeinflusst, der die Auswirkungen einer sich schnell entwickelnden therapeutischen Landschaft in verschiedenen Szenarien beschreibt. Sich ändernde Behandlungsstandards bedeuten, dass der Markt für das biologische Referenzpräparat möglicherweise nicht mehr derselbe ist wie zu Beginn des Biosimilar-Entwicklungsprogramms. Hersteller von Biosimilars, die in diesem Bereich tätig sind, sehen sich aufgrund der Konkurrenz durch innovative Hersteller einem geringeren Umsatzpotenzial gegenüber.
Zu dieser Klasse gehören relativ wenige, aber umsatzstarke Biologika, bei denen eine Verbesserung der ursprünglichen Zusammensetzung oder des Verabreichungsweges einen zusätzlichen Schutz vor der Konkurrenz durch Biosimilars bietet, was zu einer geringeren Entwicklungstätigkeit für Biosimilars führt. Eine Änderung der Zusammensetzung oder des Verabreichungsweges des Originalpräparats bringt neue Behandlungsmöglichkeiten mit sich, die für die Patienten oft einen größeren Nutzen haben als das Originalmolekül, für das Biosimilar-Arzneimittel entwickelt werden.
In anderen Fällen, insbesondere in der Onkologie, wurden seit der Einführung von Biosimilar-Arzneimitteln mehrere Produkte der zweiten Generation entwickelt, so dass für das ursprüngliche Molekül und seine Biosimilar-Arzneimittel ein potenziell kleinerer Markt übrig blieb.
Wenn Sie der Report in voller Länger inklusive der Analyse potentieller Lösungen zu den vorgestellten Herausforderungen des IQVIA Institute Reports interessiert, dürfen wir Ihnen die Lektüre des gesamten IQVIA Papers ans Herz legen. Er steht Ihnen bei Interesse kostenfrei gerne unter folgendem Link zur Verfügung: Assessing the Biosimilar Void – IQVIA
Für Fragen wenden Sie sich an:
Bernhard Hattinger
IQVIA Marktforschung GmbH
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