IQVIA: Expertenmeinungen zum Thema Switches Rx/OTC

„Wir werden sehr häufig gebeten, die Erfolgsaussichten für den Switch von bestimmten verschreibungspflichtigen Präparaten auf OTC-Status zu beurteilen. Zuletzt ist dies bei einem Diosmin/Hesperdin-haltigen Arzneimittel sehr eindrucksvoll gelungen (Daflon®, Servier). Andere Beispiele aus der Vergangenheit konnten die Erwartungshaltungen der involvierten Unternehmen wahrscheinlich weniger gut erfüllen (beispielsweise bei den Wirkstoffen Orlistat oder Pantoprazol).

Im Falle von Daflon® hat sich das Unternehmen zudem entschlossen, den Erstattungsstatus (Green Box) beizubehalten, was auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen eine Laienwerbung trotz OTC-Status verunmöglicht. Nach meiner Erfahrung ist das Empfinden einer sofortigen Linderung der jeweiligen Beschwerden eine notwendige, wenngleich in vielen Fällen nicht hinreichende Bedingung für einen kommerziell erfolgreichen Switch. Ich freue mich, dass wir zu diesem interessanten Thema die beiden Experten Philipp Saiko und Christoph Baumgärtel gewinnen konnten und wünsche Ihnen beim Lesen dieses Beitrags eine rasche und erfolgreiche Linderung Ihres Wissensdurstes!“

Dr. Martin Spatz, Geschäftsführer IQVIA Österreich

Interview zum Thema „Switch Rx/OTC“ mit Univ.-Lektor Dr. Christoph Baumgärtel, MSc, Koordinationsstelle AGES Medizinmarktaufsicht/Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, und Priv.-Doz. Mag. DDr. Philipp Saiko, Präsident der Apothekerkammer Wien
Text: Birgit Weilguni

„Unser zentrales Ziel ist, dass Patienten so viele Arzneimittel wie nötig und so wenige wie möglich einnehmen.“
Univ.-Lektor Dr. Christoph Baumgärtel, MSc

„Die Vermutung liegt nahe, dass bei einem ungehemmten Zugang zu Arzneimitteln der Verbrauch und die Gefahr der Überdosierung steigen. Aus diesem Grund sollten Beratung und Verkauf auch in Zukunft ausschließlich in der Apotheke erfolgen.“
Priv.-Doz. Mag. DDr. Philipp Saiko

Herr Baumgärtel, Herr Saiko, Österreich ist, was Rezeptpflicht (Rx) im Vergleich zu OTC (over the counter, rezeptfrei) anbelangt, eher konservativ. Was heißt das konkret?

Baumgärtel: Von etwa 15.700 in Österreich zugelassenen Humanarzneimitteln sind circa 68 % rezeptpflichtig und 32 % OTC, also ohne Rezept erhältlich.

Saiko: Das ist international gesehen ein recht hoher Anteil an rezeptpflichtigen Produkten. In Deutschland liegt der Wert nur bei 48 %, in anderen Ländern noch deutlich darunter. Wenn nun für ein Arzneimittel die Rezeptpflicht aufgehoben wird, nennt man das einen Switch. Das kommt in Österreich nicht allzu häufig vor.

Baumgärtel: Es gibt aber durchaus Überlegungen, ob wir an dieser Linie etwas ändern sollten.

Von wem gehen Switches aus, wer entscheidet, dass es dazu kommen soll?

Baumgärtel: Letztlich gehen Switches eigentlich immer von den Pharmafirmen aus, nur sehr selten von der Gesundheitspolitik. Eine Pharmafirma, die ein Arzneimittel X switchen möchte, wendet sich damit an die Arzneimittelbehörde, die dann nur für dieses Produkt innerhalb von maximal sieben Monaten entscheidet, ob es auf OTC geswitcht wird oder nicht. Die Rezeptpflicht bleibt erhalten und nur dieses eine Produkt wird auf OTC geswitcht. Alternativ kann auch ein Switch für den gesamten Wirkstoff beantragt werden – das betrifft dann, über den Weg der Rezeptpflichtkommission, nicht nur diese eine Pharmafirma, sondern alle, die Produkte mit diesem Wirkstoff auf dem Markt haben. Welcher Weg beschritten wird, unterliegt oft strategischen Entscheidungen, weil ein zweiter Switch für einen nachfolgenden Konkurrenten mit demselben Wirkstoff oftmals rascher über die Bühne geht, manchmal aber auch länger dauern kann, wenn nämlich aufgrund besonders signifikanter Daten der den Erstantrag stellenden Firma eine Datenschutzklausel von einem Jahr eingeräumt wird. Sie hat dann einen Wettbewerbsvorteil in Form eines Zeitvorsprungs. Umfassender für den Gesamtmarkt ist allerdings die zweite Möglichkeit: der Antrag bei der Rezeptpflichtkommission. Sie setzt sich paritätisch aus Playern der Gesundheitsbranche wie den Kammern, der Pharmakologie, dem Hauptverband, der Industrie sowie der AGES zusammen, tagt mindestens einmal pro Jahr und entscheidet mit einfacher Mehrheit über den Switch eines Wirkstoffes. Hier kann es sehr schnell gehen, bis eine Entscheidung gefällt wird, oder es kann auch mal fast ein Jahr dauern, je nachdem, wann der Antrag gestellt wird.

Wie häufig passiert das?

Baumgärtel: Viele Pharmafirmen interessieren sich für Switches, weil natürlich ein OTC-Produkt rein marketingtechnisch mehr Möglichkeiten öffnet, aber de facto stellen dann nur sehr wenige tatsächlich einen Antrag. Dazu muss man sagen, dass einige der Anträge in letzter Zeit auch an bis dato österreichischen Tabus gerüttelt haben, indem sie zum Beispiel Kortison haltige Präparate betroffen haben. Damit konnten sich nicht alle Kommissionsmitglieder anfreunden. Österreich ist in diesem Bereich recht konservativ. Und für manche Unternehmen ist Österreich einfach ein zu kleiner und damit wenig interessanter Markt. Es gibt aber natürlich Ausnahmen. Als vor einigen Jahren wegen Atemstillständen und Todesfällen Codein als Hustensaft für Kinder bis zwölf Jahren in der EU verboten wurde, standen wir plötzlich vor der Situation, dass es in Österreich außer pflanzlichen Wirkstoffen kaum Ersatzpräparate für Kinder gab. In Deutschland ist jedoch beispielsweise der Wirkstoff Pentoxyverin schon lange am Markt, in Österreich war der Vertrieb aber offenbar aus wirtschaftlichen Gründen bislang nicht interessant. Daraus ergab sich eine therapeutische Lücke, die wir nun geschlossen haben, indem wir Pentoxyverin für Kinder ab sechs Jahren rezeptfrei stellten. Daraufhin zeigte eine Firma Interesse, den österreichischen Markt abzudecken. Dieses Präparat ist nun seit Oktober 2016 zugelassen. Mit Rezeptpflicht wäre der Hersteller am österreichischen Markt nicht interessiert gewesen.

Welche Vorteile haben Switches?

Saiko: Für OTC-Produkte darf Werbung gemacht werden, für Rx-Produkte nicht.

Kann ein Switch auch als Innovationstreiber fungieren?

Saiko: Ja, natürlich. Rezeptfreie Produkte dürfen beworben werden, das impliziert Innovationen. Durch Switches steigt nicht zwingend der Verbrauch, aber technologische Innovationen können auch die Galenik betreffen, also neue Darreichungsformen. Gerade im Bereich von Produkten für Kinder stellen sich damit Pharmafirmen breiter auf, sie bieten mehr Optionen und Patienten können besser auswählen. Außerdem können gerade in der Werbung neue Medien zum Zug kommen.

Switches bergen aber durchaus auch Gefahren. Wie sehen die konkret aus?

Baumgärtel: Das ist weniger eine Frage des Switches, sondern eine Frage, wie man OTC lebt, sprich unter welchen Bedingungen eine Abgabe stattfindet. In den USA sind Schmerzmittel beispielsweise überall erhältlich, selbst an Tankstellen. Alleine in Kalifornien gab es in einem Jahr 60 Lebertransplantationen bei Kindern, die durch Überdosierungen von Paracetamol entstanden sind. Das wollen wir definitiv nicht. Überdosierungen verursachen gerade bei Schmerzmitteln problematische Nebeneffekte – daher sind wir hier bei Switches eher zurückhaltend. In der EU sind soeben bestimmte langsam freisetzende Schmerzmittel verboten worden. Die Gefahren bei Überdosierungen und vor allem die manchmal schwierig bis unmöglich durchzuführende Therapie derselben sind einfach zu hoch.

Saiko: In den USA gibt es pro Jahr etwa 34.000 Todesfälle durch die falsche oder zu hohe Einnahme von Arzneimitteln. Auf Österreich umgelegt wären das 850 bis 900 Todesfälle – das sind etwa doppelt so viele wie Verkehrstote, nämlich 427 im Jahr 2016, bei denen immer betont wird, dass jeder Tote einer zu viel ist … Die Freigabe von Arzneimitteln könnte also einen Rieseneffekt auf die Arzneimittelsicherheit haben. In Österreich haben wir im europäischen Vergleich leicht unterdurchschnittliche Arzneimittelpreise. Auch der Medikamentenverbrauch liegt im unterdurchschnittlichen Bereich. Hier sind wir gut unterwegs. Zu erwarten wäre, dass ein ungehemmter Zugang zu Überdosierungen verleitet – die Erfahrungen anderer Länder bestätigen das. Aus diesem Grund wäre es besonders wichtig, dass Arzneimittel auch in Zukunft nur in Apotheken abgegeben werden dürfen.

Baumgärtel: Wenn man den Markt liberalisieren möchte, muss man in Kauf nehmen, dass die Menschen in logischer Konsequenz mehr in Eigenregie konsumieren. Das kann manchmal gut sein, muss es aber nicht. Wir stehen zu unserem Prinzip, dass Patienten so viele Arzneien wie nötig und so wenige wie möglich nehmen sollen. In Österreich ist niemand unterversorgt. Für Handelsunternehmen sind Switches natürlich positiv, aber für die österreichische Bevölkerung muss man sich genau ansehen, wann und wo ein Switch sinnvoll und vertretbar ist und wo nicht. Das heißt, es kann hier einerseits Vorteile für mündige Patienten geben, aber andererseits gilt es, mögliche Kollateralschäden zu vermeiden.

Haben Sie positive oder negative Beispiele für mich?

Saiko: Ein gut gelungener Switch war etwa jener von Clarityn®-Tabletten zur Behandlung allergischer Symptome. Es ist völlig ungefährlich und lindert die Beschwerden, außerdem ist es sehr kostengünstig. Ein weiteres positives Beispiel ist die Pille danach. Hier gab es in den sieben Jahren seit dem Switch keine negativen Aspekte.

Baumgärtel: Das ist richtig, Erfahrungen in Frankreich bestätigten, dass dadurch weder die Safer-Sex-Quoten sinken noch unverantwortliche Über- und Falschdosierungen passieren. Das hat auch in Österreich wirklich gut funktioniert. Und das haben wir auch im Rahmen von fachlichen Diskussionen dem deutschen Bundestag so berichtet, als Deutschland noch vor zwei Jahren überlegt hat, ob sie ebenfalls die Pille danach OTC stellen wollen. Ich denke, da konnten wir mit unseren guten Erfahrungen aus Österreich ein Stück weit die Diskussion bereichern. Weniger positiv war die Erfahrung mit topischem Ketoprofen, ein schmerzstillender Entzündungshemmer, bei dem sich herausstellte, dass er phototoxische und photoallergische Reaktionen hervorrufen kann. Da gab es einen Retour-Switch, die Rezeptfreiheit wurde also aufgehoben. Das passiert aber nicht oft. International gibt es zudem ebenfalls negative Beispiele, aus denen man die notwendigen Lehren ziehen muss, etwa die Rolle der Fibrate im Zusammenhang mit dem Lipobay-Skandal. Fibrate sind in den USA im Gegensatz zu Österreich rezeptfrei. Patienten konnten sie dort sogar an der Tankstelle kaufen, ohne Wissen des Arztes zusätzlich zum Statin einnehmen und haben das auch gemacht, wie die Nebenwirkungen gezeigt haben, obwohl davor in der Gebrauchsinformation ausdrücklich gewarnt wurde. Der Fall zeigt, dass eine OTC-Stellung alleine meist nicht das Problem ist, aber es durch die Begleitumstände zum Problem werden kann: Wir müssen daher sicherstellen, das auch OTC-Produkte nur in Apotheken und von Fachleuten, verbunden mit der notwendigen Beratung, abgegeben werden und in jedem Fall die E-Medikation zur Anwendung kommt.

Welche Bedeutung haben Switches für Apotheken? Welcher Aufwand ist damit verbunden?

Saiko: Apotheken sind der niedrigstschwellige Zugang zu Arzneimitteln. Switches bedeuten eine Aufwertung für die Apotheken, denn sie sind verantwortlich dafür, die Kunden über Arzneien und ihre Wirkungen und Nebenwirkungen aufzuklären. Sie bieten in jedem Fall kompetente Beratung und die Umwandlung von einem Rx- in ein OTC-Produkt bedeutet auch nicht unbedingt einen Mehraufwand. Apotheken sehen hier mehr Chancen als Risiken und jedenfalls eine deutliche Kompetenzerweiterung.

Baumgärtel: Genau beobachten müssen wir noch die Online-Apotheken – hier ist die Sachlage ganz anders. Die Online-Apotheke muss eine Telefonnummer zum Ortstarif zur Verfügung stellen, aber die Optionen für den Apotheker sind eingeschränkt. Vor Ort ist es leichter, von einem Produkt oder einer Produktkombination abzuraten. Switches sind also dann eine sinnvolle Maßnahme, wenn in der Apotheke beraten wird, das muss in der Praxis auch online sichergestellt sein. Dort bedarf es noch Überlegungen, wie das personell gelöst werden kann. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Online-Verkäufe zunehmen werden. Und auch die E-Medikation soll dort nicht nur eine „theoretische“ Möglichkeit im Hintergrund sein, sondern aktiv gelebt werden.

Und für das gesamte Gesundheitssystem – sind Switches eher positiv oder eher negativ einzustufen?

Baumgärtel: Hier gibt es Pro und Contra. Die strenge Rezeptpflicht kommt nicht von ungefähr: Arzneien sind in ärztlichen Händen sicherer als in Laienhänden. Für den konservativen Markt spricht, dass bei schwierigen Erkrankungen der Patient vor sich selbst und seinen Fehlern geschützt werden soll. Selbstdiagnosen können auch problematisch sein. Für den liberalen Markt spricht aber gleichzeitig, dass Patienten eventuell gar keinen Arzt aufsuchen würden, aber so kämen sie niederschwellig wenigstens überhaupt mit einem Gesundheitsexperten, nämlich dem Apotheker, in Kontakt und somit auch in eine Therapie. Selbstbehandlung ist jedenfalls besser als keine Behandlung.

Wäre es eventuell denkbar, dass der Markt für bereits diagnostizierte Erkrankungen geöffnet wird, dass also Folgeverordnungen nicht mehr nötig sind?

Baumgärtel: Das ist denkbar. Wir beleuchten diese Frage in einer Switch-Studie, die derzeit in Arbeit ist. Außerdem kann uns die Studie vielleicht darüber Aufschluss geben, ob es in manchen Fällen durch einen Switch alternative Benefits gibt. In Großbritannien und Polen wurde Viagra beispielsweise rezeptfrei gestellt, was bemerkenswert ist, da es sich dabei eigentlich um eine EU-weite Liberalisierung handeln müsste – Viagra wurde im zentralen Verfahren EU-weit zugelassen. Auf den ersten Blick ist das für Österreich undenkbar, aber gerade Viagra wird oft illegal online bestellt. Eventuell haben wir mehr Benefits, wenn es OTC verfügbar ist und die Leute dadurch ihre Finger von illegalen und gefährlichen Fälschungen lassen. Wir holen diese Menschen dann wenigstens in die Apotheke, wenn schon nicht zum Arzt. Ich verspreche mir daher von der Switch-Studie ein neues Mindsetting. Möglicherweise finden wir mit einer teilweisen Liberalisierung zu noch mehr Arzneimittelsicherheit.

Ist die Rezeptpflicht da nicht im Weg?

Baumgärtel: Unsere strenge Rezeptpflicht ist historisch gewachsen. Sie entstand unter anderem auch anhand des Contergan-Skandals in den 1960ern. Wir hatten damals in Österreich ein Hundertstel der Missbildungsfälle im Vergleich zu Deutschland. Normalerweise bewegen sich die Zahlen im Bereich von eins zu zehn. Der Grund war, dass Contergan in Deutschland rezeptfrei war, in Österreich aber rezeptpflichtig. Damals war das eindeutig die richtige Entscheidung. Für heute hat diese Geschichte aber keine Gültigkeit mehr, denn wir haben seit über dreißig Jahren ein funktionierendes System mit rigoroser Zulassung, umfassender Studienlandschaft und Pharmakovigilanz. Neue Wirkstoffe sind grundsätzlich die ersten fünf Jahre rezeptpflichtig, erst dann wird über Switches nachgedacht. Heute wollen Patienten mündig sein und wir müssen sie in ihrer Health Literacy bestärken, dabei dürfen wir sie aber nicht alleine lassen. Apotheken werden daher gefordert sein, mehr Beratungsleistung zu bieten, wenn es mehr OTC gibt.

Welche Gefahren bergen in diesem Zusammenhang Online-Apotheken?

Baumgärtel: Der Online-Handel für Apotheken ist in Österreich seit Juni 2015 frei. Wir haben aktuell 57 registrierte Online-Apotheken in Österreich. Die sind alle solide und werden regelmäßig überprüft. Wie schon erwähnt sind für mich aber die telefonische Beratung und die Wechselwirkungen ein kritisches Thema. Das Angebot der telefonischen Beratung und der E-Medikation darf hier zu keiner Feigenblatt-Lösung verkommen.

Saiko: Außerdem ist das Logo, das zeigt, dass eine Online-Apotheke seriös arbeitet und regelmäßig den Überprüfungen standhält, noch weitgehend unbekannt. Hier müsste definitiv mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden. Fakt ist, dass von dem, was der Zoll an illegalen Medikamenten rausfischt, sage und schreibe 95 % gefälscht sind. Der nicht zertifizierte Online-Arzneimittelkauf ist also nicht nur illegal, sondern in vielen Fällen wirkungslos oder sogar gefährlich. Aus diesem Grund sind Fälle wie der kürzliche Fund illegaler Antibiotika in einem chinesischen Supermarkt in Wien für diesen Zweck besser als jede Imagekampagne, denn er macht einer breiten Masse deutlich, wie gefährlich Arzneimittelfälschungen sein können.

Wie beurteilen Sie die Lage, wenn Arzneimittel nicht nur in Apotheken verkauft werden, sondern auch beispielsweise in Drogeriemärkten – immerhin bemüht sich eine große Drogeriemarktkette schon längere Zeit um die Freigabe?

Saiko: Wir können leider nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der OTC-Markt irgendwann auch für Drogeriemärkte freigegeben wird. Allerdings würde das eine Reihe von veritablen Problemen nach sich ziehen. So ist etwa fraglich, wie Drogeriemärkte ihrer Informationspflicht nachkommen sollen. Außerdem wäre dann in weiterer Folge zu erwarten, dass ebenso wie in den USA OTC-Produkte auch an Tankstellen und in Supermärkten verkauft werden dürfen. Das unterminiert jede Bemühung um Compliance. Selbstmedikation stellt nur dann eine Gefahr dar, wenn wir den Markt öffnen und Arzneien überall landen, weil dann keine kompetente Beratung mehr stattfinden kann. Dadurch würden unsere Informationen im Hintergrund nicht mehr greifen oder auch die Computersysteme umsonst sein.

Baumgärtel: Sollte es einen weiteren Anlauf geben, müsste man die gerichtliche Entscheidung abwarten und schauen, was das für den Markt bedeutet und wie man entsprechende neue Regeln aufstellen kann. Aus heutiger Sicht würde eine Freigabe ohne begleitende Maßnahmen sämtliche Bemühungen in Richtung ELGA, die elektronische Gesundheitsakte, und die E-Medikation, aber auch der „falsified directive“ ad absurdum führen. Sämtliche rezenten Entwicklungen für mehr Arzneimittelsicherheit würden dadurch infrage gestellt. Die Medikamente werden dann nicht mehr erfasst und Apotheker können nicht beraten. Mit solch einer Freigabe müssten wir unser System in Bezug auf Switches reflektorisch eigentlich noch konservativer machen, als es derzeit ist, und das will praktisch niemand.

Saiko: Ein entsprechendes Verfassungsgerichtsurteil wird aber jedenfalls noch einige Zeit auf sich warten lassen und auch eine etwaige Umsetzung danach ist bei Weitem nicht so einfach machbar, wie es derzeit klingt bzw. gerne behauptet wird.

Wie wird man künftig mit Switches umgehen?

Baumgärtel: Wir versprechen uns von der laufenden Switch-Studie, die voraussichtlich im März nächsten Jahres veröffentlicht wird, neue Erkenntnisse, die uns helfen, Rx/OTC neu zu denken und neu zu bewerten. Wir werden dann einen besseren Überblick bekommen, wo wir im europäischen Vergleich stehen. Wir wollen auf anschauliche Weise wissen: Welche Substanzen sind in der EU rezeptfrei und in Österreich nicht? Haben wir Versorgungslücken im OTC-Bereich? Wo unterscheiden wir uns grob von vergleichbaren EU-Ländern? Wie relevant sind die dortigen Top-Präparate – und wie konservativ sind wir wirklich und was ist dabei für den Markt relevant? Daraus ergeben sich möglicherweise die Top-10-Switch-Kandidaten für Österreich. Einen europäischen Meldemechanismus über Switches gibt es nicht, denn die Rezeptpflicht wird fast ausschließlich nationalstaatlich geregelt. Eine Harmonisierung würde aber sicherlich guttun.

Herzlichen Dank für das Interview.

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